(Essay auf der Basis eines Instgram-Posts) Bedingungslose Liebe des Partners als Ersatz für Gottesliebe?
Grundsätzlich fand ich es bereits sehr erstaunlich, dass die Forderung nach der „höchsten Form der Liebe“ in das aufgerissene Maul eines offenbar männlichen Löwens geschrieben steht, der weder symbolisch für eine besondere Liebesfähigkeit steht noch für große Familienkompetenz: Bekanntlich jagen die Löwinnen, jedoch nimmt sich der bis dahin faul herumliegende Löwe als erster von der – mit eher weniger Liebe – gerissenen Beute. Was die Autorin des Memes damit bezwecken wollte, entzieht sich aller meiner Interpretationskunst, außer, ich bemühe die Freud’sche Fehlleistung, strapaziere sie über und ergehe mich in der Vermutung, dass in der Schreiberin eine versteckte Sehnsucht nach absoluter Hingabe zu einem egomanischen Macho-Typen schlummert und für sie das bedingungslos lieben bedeutet. Ich gehe davon aus, dass das zumindest nicht die beabsichtigte Botschaft sein sollte, sondern sich einreiht in eine Unmenge an im Wortlaut ähnlicher anderer „Weisheitsaussagen“, z.B.:
- Wenn man Liebe nicht bedingungslos geben und nehmen kann, ist es keine Liebe, sondern ein Handeln in dem ständigen Plus und Minus gegeneinander abgewogen werden (Emma Goldmann)
- Bedingungslose Liebe: Es geht darum, deinen Partner so zu akzeptieren, wie er ist, ohne zu versuchen, ihn zu ändern. (www.starke-gedanken.de)
- Einen Menschen mit seinen Stärken und Schwächen zu akzeptieren und ihn bedingungslos zu lieben, ist es, was eine Liebe so echt und so stark macht. – Esragül Schönast (www.weisewortwahl.de)
Die Sehnsucht hinter solchen Posts ist immer dieselbe: bedingungslos geliebt werden zu wollen und selbst jemanden bedingungslos zu lieben. Kein Abwägen von Plus und Minus, von negativen und positiven Seiten, keine Vorwürfe, keine Kritik, kein Aneinander-Rummäkeln, ein „ich liebe dich genauso wie du bist und egal, was du tust“, keine Bedingungen stellen.
Dieser Anspruch ist der absolute Hype in der spirituellen Szene und setzt eine Partnerschaft dermaßen unter Erwartungsdruck, dass sie jede Beziehung früher oder später zum Zerplatzen bringt. Noch vor wenigen Jahrzehnten gab es diesen Anspruch nicht: Eine Ehe hatte pragmatische Gründe und selbst in den 50er Jahren teilte man nicht alle Aufgaben mit seinem Partner, sondern jeder hatte seine klar definierte Rolle zu erfüllen.
Dennoch ist diese Sehnsucht natürlich viel älter und keine Erfindung der Moderne. In der buddhistischen Lehre findet man sie in dem „geistigen Zustand der erleuchteten Liebe zur Welt“, die nur sehr wenige erlangen, die eigentlich schon reif für das Nirvana sind – und eben nicht jeder Hans und Franz. Das Christentum postuliert eine „bedingungslose Liebe durch Gott“ (auch wenn die sich mir bei den ganzen Bedingungen, die daran geknüpft sind, vorneweg die 10 Gebote, nicht ganz erschließt).
In einer Podcast-Folge „Lanz&Precht“ aus dem September `22 stellte der Philosoph Richard David Precht die These auf, dass heute anstelle des christlichen Glaubens mit seiner bedingungslosen Liebe Gottes bzw. Jesus‘ die Suche nach dem einen Seelenpartner getreten ist. Der Partner soll einen nun bedingungslos lieben, quasi kompensatorisch für die Gottesliebe, die (zumindest das Neue Testament) verspricht. Das ist ein hehrer Anspruch an einen Menschen. Und häufig sind die, die sich am meisten danach sehnen die, die es selbst am wenigstens praktizieren können. Und so erwartet man, einen Seelenpartner zu finden, der einem das doch bitte beibringen möge:
- Unser Seelenpartner lehrt uns die Lektionen in Vergebung und bedingungsloser Liebe, die wir lernen müssen.
Die Aussage ist nicht ganz eindeutig: entweder soll ich mich, egal, wie Scheiße sich der andere verhält, darin üben, ihn dennoch „bedingungslos“ zu lieben (also auch nicht die Bedingung nach einer respektvollen Behandlung stellen) und ihm alles vergeben – wohin das vermutlich führt, kann jeder sich selbst ausmalen -, oder aber der Anspruch geht dann noch ein Stückchen weiter, was ich bei der Autorin dieses Memes als Botschaft vermute: Der Partner soll nicht nur seelenverwandt sein und darf auch keine Bedingungen an mich stellen, sondern er muss mir außerdem in Weisheit, Lebensklugheit und Sozialkompetenz noch weit voraus sein, so dass ich durch ihn das bedingungslose Lieben erlernen kann. Er soll also etwas können, was ich, diesem Anspruch gemäß, offenbar nicht in der Lage bin: mich selbst wertschätzen wie ich bin und nicht angewiesen zu sein auf jemanden, der das mehr tut als ich selbst. Aber wenn er mir seelenverwandt wäre: wäre er dann nicht mindestens genauso unvollkommen wie ich selbst?
Es gibt da übrigens ein interessantes Modell von Thomas Gordon, einem amerikanischen Psychologen (* 11. März 1918; † 26. August 2002): Das Beziehungskonto. Das steht diametral dem Anspruch nach Bedingungslosigkeit gegenüber und erklärt meiner Meinung nach das Scheitern von Beziehungen überzeugender als die Unfähigkeit zu bedingungsloser Liebe des ach doch so fehlerhaften Partners.