(Leseprobe)
Es riecht nach verbranntem Toast. Ich drehe mich verwirrt um. Bin ich so übermüdet, dass ich mich nicht mehr erinnere, dass ich eine Scheibe Brot in den Toaster gesteckt habe, nachdem ich in die Küche geschlurft gekommen bin? Ich gehe zum Toaster. Der ist leer. Ich öffne den Brotkasten. Auch da gähnende Leere. Ich schüttele unwillig den Kopf und beginne theatralisch schnüffelnd durch die Küche zu laufen wie ein Hund, der auf der Spur eines geflüchteten Kaninchens ist. Meine Nase bringt mich zum geöffneten Fenster. Ich schaue die vier Etagen am Hochhaus herunter. Der Geruch kommt von draußen, aus einem der unteren Stockwerke. Sehen kann ich nichts, auch keinen Rauch. Nur dieser starke Geruch einer inzwischen garantiert komplett verkohlten Brotscheibe zieht mir in die Nase.
“Fuck! Erst keinen Kaffee mehr da und jetzt noch verbrannter Toast! Scheiß-morgen!”, höre ich eine extrem verärgerte Stimme. Ich grinse. Aha, das ist der Nachbar aus dem zweiten Stock. Ich schnappe mir die Dose mit meinem Kaffeepulver, flitze durch den Flur, bleibe kurz am Spiegel stehen, prüfe die Ringe unter meinen Augen, gegen die ich jetzt leider so schnell nichts machen kann und sause auf Socken und im Schlabber T-Shirt die Treppe herunter. Als ich vor seiner Tür stehe, halte ich einen Moment inne, während mein Finger bereits wenige Zentimeter über dem Klingelknopf schwebt, unter dem auf einem sich fast ablösendem provisorischen Klebezettel: “Jakob Mehlwurm” gekritzelt steht. Eines dieser Provisorien, die dann offenbar doch eine Ewigkeit halten müssen, denn Jakob Mehlwurm ist schon vor über einem Jahr hier eingezogen und hat offenbar noch immer kein anständiges Türschild. Ich muss mir ein Lachen verkneifen. Wie soll man jemanden ernst nehmen, der so heißt? Nomen est omen. Wie findet man eine angesehene Arbeitsstelle, wenn man seinen Lebenslauf mit so einem Namen einreicht? Aber Jakob Mehlwurm muss einen ganz passablen Job haben, außer, er hat sein ganzes Jahresgehalt einzig in einen nigelnagelneuen Tesla investiert und lebt sonst arm wie eine Kirchenmaus. Bei Männern ist alles möglich.
Ich klingele, zaghafter, als es meinem rasanten Treppenhüpfen entspricht. Ich höre energische Schritte, die die ganze männliche Wut über den fehlenden Kaffee und den verbrannten Toast wiederspiegeln. Er reißt die Tür auf. “Ja?!”Ich halte ihm die Dose mit Kaffeepulver hin, fast wie ein Schutzschild zwischen ihn und mich, am liebsten hätte ich noch die Schultern eingezogen. “Hä, was soll das?” Mit etwas unhöflichen Blick starrt er mich an und ich bin einen Moment versucht, einfach wieder umzudrehen. Sollte eine emanzipierte, selbstbewusste Frau sich so einen Ton gefallen lassen? Vielleicht ist Jakob Mehlwurm doch nicht so toll, wie ich immer den Eindruck habe, wenn er mir unten im Hausflur begegnet und mich nett und charmant anstrahlt?
“Äh, Kaffeepulver?”, murmele ich plötzlich eingeschüchtert und zeige auf die Dose. Es braucht eine Weile, man kann es förmlich rattern hören in Jakob Mehlwurms Kopf. Dann geht plötzlich ein breites Grinsen über sein Gesicht, begleitet von einem taxierenden Blick auf mich, einmal hoch und runter und wieder zurück. Ich fühle mich unwohl. Ich bin gerade erst aus dem Bett gekommen, habe eine dünne Legging und ein T-shirt in Übergröße an, meine Füße stecken in Stoppersocken mit Sternchenmuster. Meine halblangen, zum Teil ergrauten Haare wuseln sich offen um mein schmales Gesicht, das bereits mit vielen kleinen Falten um Augen und Mund durchzogen ist. Mit Ende Vierzig kriecht man morgens nicht mehr wie der junge Frühling aus dem Menopausen-durchschwitzten Bett. Aber auch Jakob Mehlwurm sieht um diese frühe Morgenstunde nicht aus wie der tatkräftige junge Held mit Schwert und Schild, bereit für die mutige Drachenjagd. Er muss wenigstens Anfang fünfzig sein, der fehlende Kaffee als Muntermacher steht ihm im zerknitterten Gesicht geschrieben. Ich entschuldige damit seine schlechte Laune, sonst wäre ich wohl doch umgedreht.
“Hey, wie denn das jetzt? Wie weißt du denn, woher…? Na, egal, komm’ rein, ja, mir ist tatsächlich der Kaffee ausgegangen. Und ohne Kaffee bin ich morgens nur ein halber Mensch. Wie heißt du nochmal?” – “Ellen.” – “Fein, hereinspaziert, Ellen.” Jakob wird wieder charmant. Ob er mich im Schlabber T-shirt und Sternchenstoppersocken trotzdem attraktiv findet, oder er so nach Kaffee giert, dass ihm die Überbringerin desselben wurscht ist, kann ich nicht ausmachen.
(Leseprobe Ende)
Disclaimer: Dies ist trotz des Anfangs keine lustige Geschichte. Es kommt nach und nach zu einer tragischen Wendung…
Ein Gedanke zu „Verbrannter Toast zum Valentinstag“