Kurzgeschichte, 2018

Foto: pexels.com (Erik Maclean)

Rechts, links oder geradeaus? Jedes Mal, wenn ich mit meinem Hund Kaja in diesen Teil des Waldes komme, stehe ich vor dieser schwierigen Frage, denn diese Weggabelung ist nicht irgendeine Kreuzung im Wald, die lediglich darüber entscheidet, ob der Rundweg länger oder kürzer, beschwerlicher oder einfacher, schlammiger oder trockener wird.

Wenn ich den linken Weg nehme, riskiere ich Frau Eberhart mit ihrem Pudel Hugo zu begegnen. Hugo und Kaja können sich nicht ab und ich kann Frau Eberhart nicht ab. Sie mich, glaube ich, auch nicht, meint aber dennoch, mich über das laute Gekläffe der beiden Hunde an den ziehenden Leinen hinweg in ein nicht endendes Gespräch verwickeln zu müssen.

Wenn ich rechts gehe, komme ich an der alten Villa vorbei, die mein Exmann zusammen mit seiner neuen Gattin ausbaut und renoviert hat – „mit ihr“ heißt mit ihrem Geld, denn er selbst besitzt keinen Pfennig. Als wir noch verheiratet waren, lebte er mit mir und den Kindern auf 70m2 in einem 50er-Jahre-Wohnhaus und wir wussten nie, wovon wir die Miete bezahlen sollten. Ich bin zwar neugierig, wie die Bauarbeiten voranschreiten, aber der Anblick versetzt mir immer einen Stich!

Der mittlere Pfad ist dagegen schlicht und ergreifend unheimlich. Irgendwie, ich weiß nicht warum, befällt mich ab einer bestimmten Stelle, wo der Pfad auf eine Art Weglichtung mündet, ein mulmiges Gefühl.

Ich sehe in den zugewachsenen Zugang vor mir. Plötzlich entschlossen nehme ich den mittleren Pfad. Anfangs ist er noch recht breit, ganz langsam verjüngt er sich, bis es nur kaum mehr als ein schmaler Wildwechsel ist. Junge Baum- und Strauchkronen bilden einen Blättertunnel, es wird feuchter, giftiger Weißwurz wächst hier zuhauf. Ich merke bereits, wie mich trotz der Schönheit der Natur um mich herum langsam Beklemmung befällt. Dabei ist dies noch gar nicht die Stelle, aber wie der Pawlow‘sche Hund, der schon bei dem Erklingen der Glocke beginnt zu sabbern, wird mir bange zumute in der Erwartung, dass ich gleich an die Stelle komme. Kaja läuft inzwischen auch nicht mehr vor mir her, ich muss sie bereits hinter mir herziehen. Immer widerwilliger folgt mir meine Hündin, schließlich nehme ich sie auf den Arm. Seit einem Jahr bin ich hier nicht mehr langgelaufen, seit mein Exmann mir verkündet hat, er würde jetzt mit seiner neuen Angetrauten die alte Villa am Froschgrund ausbauen, die sie erworben hätten und mit viel Geld zu einem Schmuckstück umgestalten würden. Früher hatten er und ich diese Jugendstilvilla immer mit Sehnsucht betrachtet, uns gemeinsam immer ausgemalt, wie wir sie wieder herrichten und ausstatten würden. Diese Villa war uns ans Herz gewachsen. Jetzt realisierte er unseren Tagtraum – mit einer anderen und deren Geld!

Der Pfad steigt jetzt etwas an, über eine große Bulte drüber und als ich auf der kleinen Kuppe stehe, sieht man plötzlich auf die besagte Lichtung, in die auf der anderen Seite ein breiter Weg mündet. Ich will hinab, rutsche dabei von der Erhebung runter, stolpere auf die freie Fläche, fange mich nach zwei Metern.

„Hola, junge Frau, Sie sind aber stürmisch. Wie der Müller damals, der hier umgekommen ist!“ Erschreckt fahre ich mich zusammen, lasse fast den Hund fallen, ich drehe mich entsetzt um, nach der Stimme seitlich von mir. Ein alter Mann mit schütterem Haar sitzt auf einem Baumstumpf und lächelt mich quasi zahnlos an. Seine Hände sind auf einen Stock gestützt. „Wie, was, wer?“ stammele ich.

„Na, der alte Müller, der hier erschlagen wurde. Genau hier an der Stelle. Kennen Sie die Geschichte nicht?“ Ich schüttele wortlos den Kopf.

Er steht mühsam auf. „Kommen Sie, lassen Sie uns diesen Ort verlassen.“ Wir gehen langsam nebeneinanderher, während wir die Lichtung verlassen und auf den breiten Weg zurück gehen. Ich habe noch immer Kaja im Arm, die ich wie ein Schutzschild gegen mich drücke, sie gleichzeitig beschützend. Der alte Mann erzählt:

„Der Müller hatte gedacht, hier auf der Lichtung seine Geliebte zu treffen, stattdessen aber erwartete ihn dessen Gatte. Der Müller stürmte genau wie Sie aus dem Pfad heraus, erwartete vermeintlich, seine Schönste in die Arme zu nehmen, stattdessen bekam er eins mit der Axt übergebraten.“

„Das, … das ist ja gruselig!“, stottere ich und drücke Kaja noch fester an mich, die erstaunt meinen Blick sucht. „Darum ist es hier an dieser Stelle so unheimlich!“, murmele ich.

Der alte Mann nickt zustimmend mit dem Kopf.

„Die Stelle ist verflucht. Sie sollten nicht mehr hier langgehen.“

Er sieht mich mit geneigtem Kopf an: „Aber damit war das Drama noch nicht zu Ende. Der gehörnte Ehemann lief daraufhin zu seiner Gattin, mit der er in der Villa da unten wohnte“, er sieht mich kurz fragend an: „die kennen Sie sicher, die im Froschgrund. Irgendeiner hat das Anwesen jetzt wieder gekauft und renoviert es.“

Ich werde blass. „Ja, die kenne ich…“, stammele ich leise, „..und dann? Was passierte dann?“

„Er lief mit der blutigen Axt ins eheliche Schlafzimmer, wo er seine Frau eingesperrt hatte, und erschlug sie mit dem gleichen Beil, mit dem er kurz davor ihren heimlichen Geliebten niedergestreckt hatte und an dem noch sein Blut klebte! Daraufhin flüchtete er noch in derselben Nacht, keiner weiß bis heute, wohin. Die Villa wurde immer wieder weiterverkauft, aber sie ist verflucht wie der Platz, wo er den Liebhaber seiner Frau erschlagen hat, und sie brachte bisher jedem Unglück, der sie erworben hat.“

Ich bleibe stehen, sehe den alten Mann wortlos an, mein Hals wird trocken. Langsam und nachdenklich lasse ich Kaja auf den Boden gleiten. Ich merke, wie sich mir der Magen umdreht und sich gleichzeitig ein leises Gefühl von Genugtuung breit macht.