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Nomen est omen (Leseprobe)

Es roch nach verbranntem Toast. Lena drehte sich verwirrt um. War sie so übermüdet, dass sie sich nicht mehr erinnerte, dass sie eine Scheibe Brot in den Toaster gesteckt hat, nachdem sie in die Küche geschlurft gekommen war? Sie ging zum Toaster. Der war leer. Sie öffnete den Brotkasten. Auch da gähnende Leere. Sie schüttelte unwillig den Kopf und begann theatralisch schnüffelnd durch die Küche zu laufen wie ein Hund, der auf der Spur eines geflüchteten Kaninchens war. Ihre Nase brachte sie zum geöffneten Fenster. Sie schaute die vier Etagen am Hochhaus herunter. Der Geruch kam von draußen, aus einem der unteren Stockwerke. Sehen konnte sie nichts, auch keinen Rauch. Nur dieser starke Geruch einer inzwischen garantiert komplett verkohlten Brotscheibe zog ihr in die Nase.
“Fuck! Erst keinen Kaffee mehr da und jetzt noch verbranntes Toast! Scheiß-Morgen!”, hörte sie eine extrem verärgerte Stimme. Lena grinste. Aha, das war der Nachbar aus dem zweiten Stock. Sie schnappte sich die Dose mit ihrem Kaffeepulver, flitzte durch den Flur, blieb kurz am Spiegel stehen, prüfte die Ringe unter ihren Augen, gegen die sie jetzt leider so schnell nichts machen konnte und sauste auf Socken und im schlabbrigen T-Shirt die Treppe runter. Als sie vor seiner Tür stand, hielt sie einen Moment inne, während ihr Finger bereits wenige Zentimeter über dem Klingelknopf schwebte, unter dem auf einem sich fast ablösenden provisorischen Klebezettel: “Jakob Mehlwurm” gekritzelt stand. Eines dieser Provisorien, die dann offenbar doch eine Ewigkeit halten mussten, denn Jakob Mehlwurm war schon vor über einem Jahr hier eingezogen und hatte offenbar noch immer kein anständiges Türschild. Lena musste sich ein Lachen verkneifen. Wie sollte man jemanden ernst nehmen, der so hieß? Nomen est omen. Wie findet man eine angesehene Arbeitsstelle, wenn man seinen Lebenslauf mit so einem Namen einreichte? Aber Jacob Mehlwurm musste einen ganz passablen Job haben, außer, er hatte sein ganzes Jahresgehalt einzig in einen niegelnagelneuen Tesla investiert und lebte sonst arm wie eine Kirchenmaus. Bei Männern war alles möglich.
Sie klingelte, zaghafter, als es ihrem rasanten Treppenhüpfen entsprach. Sie hörte energische Schritte, die die ganze männliche Wut über den fehlenden Kaffee und das verbrannte Toast wiederspiegelten. Er rieß die Tür auf. “Ja?!”. Lena hielt ihm die Dose mit Kaffeepulver hin, fast wie ein Schutzschild zwischen ihn und sich, am Liebsten hätte sie noch die Schultern eingezogen. “Hä, was soll das?” Mit etwas unhöflichen Blick starrte er sie an und Lena war einen Moment versucht, einfach wieder umzudrehen. Sollte eine emanzipierte, selbstbewusste Frau sich so einen Ton gefallen lassen? Vielleicht war Jakob Mehlwurm doch nicht so toll, wie sie immer den Eindruck hatte, wenn er ihr unten im Hausflur begegnete und sie nett und charmant anstrahlte?
“Äh, Kaffeepulver?”, murmelte Lena plötzlich eingeschüchtert. Es brauchte eine Weile, man konnte es förmlich rattern hören in Jakob Mehlwurms Kopf. Dann ging plötzlich ein breites Grinsen über sein Gesicht, begleitet von einem taxierenden Blick auf Lena, einmal hoch und runter und wieder zurück. Sie fühlte sich unwohl. Sie war gerade erst aus dem Bett gekommen, hatte eine dünne Legging und ein T-Shirt in Übergröße an, ihre Füße stecken in Stoppersocken mit Sternchenmuster. Ihre halblangen, zum Teil ergrauten Haare wuselten sich offen um ihr feines Gesicht, das bereits mit vielen kleinen Falten um Augen und Mund durchzogen war. Mit Ende Vierzig krabbelte man morgens nicht mehr wie der junge Frühling aus dem durchgeschwitzten Bett. Aber auch Jakob Mehlwurm sah um diese frühe Morgenstunde nicht aus wie der tatkräftige junge Held mit Schwert und Schild, bereit für die mutige Drachenjagd. Er musste wenigstens Anfang fünfzig sein, der fehlende Kaffee als Muntermacher stand ihm im zerknitterten Gesicht geschrieben. Lena entschuldigte damit seine schlechte Laune, sonst wäre sie wohl doch umgedreht.
“Hey, wie denn das jetzt? Wie weißt du denn, woher…? Na, egal, komm’ rein, ja, mir ist tatsächlich der Kaffee ausgegangen. Und ohne Kaffee bin ich morgens nur ein halber Mensch.” Jakob wurde wieder charmant. Ob er sie im Schlabber T-shirt und Sternchenstoppersocken trotzdem attraktiv fand, oder er so nach Kaffee gierte, dass ihm die Überbringerin desselben wurscht war, konnte Lena nicht ausmachen.
“Und ich ohne Toast. Hast du noch ein unverbranntes?”, log Lena, die morgens selten etwas aß. Erstaunt sah er sie an, fragte aber nicht weiter nach.
“Joah, noch eine ganze Packung, muss nur noch die verkohlten Krümel aus dem Toaster holen.”
“Ja, bitte, sonst stinkt meine ganze Küche danach,” lachte Lena und Jakob sah sie wieder verwundert an. Aber wer verstand schon Frauen, dachte er.

(Leseprobe Ende)

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