(Essay) Friends with benefits“ scheint gerade bei jungen Menschen das neue Modell der Wahl

Freundschaft plus, F+ oder auch „friends with benefits“ wird zu einem immer beliebteren Beziehungsmodell unter jungen Menschen und schwappt inzwischen auch zunehmend in die Köpfe der älteren unter den sich auf dem Dating-Markt tummelnden Beziehungs(un)willigen.

„Lass uns Freunde bleiben, aber ab- und zu Sex miteinander haben“, lautet dann die Grundformulierung. Zwei wesentliche Gründe stecken dahinter: Einerseits hofft man, das Beziehungsgebilde würde dadurch unkomplizierter und andererseits möchte man sich damit seine Freiheit erhalten: Freiheit, andere Liebesabenteuer zu haben, Freiheit bei seinen Plänen keinen Beziehungspartner berücksichtigen zu müssen, Freisein von verstrickenden Gefühlen, die einen an den anderen binden. Genau die Freiheit bzw. das Fehlen von Verliebtheit soll die F+ auch unkomplizierter machen, obwohl auch sie nicht ohne klare Regeln auskommt: Keine Treue erwarten, keine Versprechungen und Verpflichtungen, die die Friendzone verlassen würden, konsequenterweise auch keine gemeinsamen Zukunftspläne. Jeder macht weiter sein Ding, ungeachtet des anderen. Eine klare Kommunikation braucht die F+ aber natürlich genauso wie die feste Beziehung. Streng genommen ist sie in jedem sozialen Miteinander nötig, so eben auch hier.

Alles entspannt also?

Die positiven Seiten liegen erst einmal auf der Hand: Ohne Treueversprechen und ohne Verliebtheit keine Eifersüchteleien, die sonst so oft Liebesbeziehung strapazieren und öfter auch zum schmerzhaften Ende führen. Beide genießen ihre Freiheit als Single, aber müssen deswegen nicht auf Sex mit einer vertrauten Person verzichten, und bekommen diesen ohne Erwartungsdruck, oft entspannter und ohne dass sich einer dazu verpflichtet fühlt. Routine schleicht sich zwischen Friends with benefits auch nicht so schnell ein. Es gibt keine Streitereien darüber, wo man gemeinsam den Urlaub verbringt, wie man die gemeinsame Wohnung einrichtet, und dass der andere schon wieder seine Klamotten im Wohnzimmer herumliegen gelassen hat. Keine Missverständnisse mehr über vermeintlichen Liebesentzug oder im Gegenteil erwürgendes Klammern. Trotzdem ist immer einer da, mit dem man nicht nur körperlich vertraut zusammenkommt, sondern der auch zuhört, mit dem man etwas unternehmen kann, mit dem man lacht und weint, wie man das eben unter Freunden tut. Man genießt alle Vorteile einer Liebesbeziehung, aber eliminiert die negativen.

Wirklich? 

Gefühle lassen sich nicht steuern. Wenn man körperlich Lust aufeinander verspürt, ist da offenbar per se schon mal mehr als nur platonische Freundschaft. Die Gradwanderung zwischen Freundschaft und einer Liebesbeziehung ist schmal. Sollte man dennoch gemeinsam in den Urlaub fahren, auch wenn man keine feste Beziehung hat? Sollte man sich nicht doch eine gemeinsame Wohnung in Form einer WG nehmen, das ist ja viel billiger und praktischer? Und ist der andere nicht doch verletzt, wenn man heute aber keine Lust auf Sex mit ihm hat? Und wie fühlt man sich, wenn der eine einem irgendwann sagt: „Du, ich möchte das Plus aus unserer F+ rausstreichen, ich habe mich in jemand anderen verliebt und mit dem möchte ich jetzt eine feste Beziehung.“ Steckt man das dann einfach weg? Und bedeutet das nicht unter Umständen auch das Ende nicht nur des Plus‘, sondern auch der Freundschaft? Und wenn man dann doch eifersüchtig ist, wenn der andere mit auf der Party wild herumflirtet, während man eigentlich gern nach der Party noch auf einen Sprung mit zu ihm gekommen wäre? Hat man dann ein schlechtes Gewissen, weil Eifersucht ja eigentlich ein Tabu in der F+ ist und kämpft mit Liebeskummer, den man nicht mal nach außen zugeben kann?

Verbirgt das Ablehnen einer festen Beziehung und das Etablieren einer Freundschaft Plus nicht vielleicht nur eine grundsätzliche Beziehungsunfähigkeit, die ja einige Psychologen bei der jungen Generation bereits festzustellen glauben? Verpassen junge Leute es so eventuell, feste Beziehungsmuster zu trainieren, ehe sie sich dann irgendwann endgültig für jemanden entscheiden möchten, mit dem sie dann vielleicht auch eine Familie gründen wollen. Sicher ist das aber nicht, denn auch Freundschaft trainieren ist ein wichtiger Grundpfeiler für eine gut funktionierende Liebesbeziehung. Und bei einer F+ geht die Freundschaft unter Umständen durch ein hartes Training.

Wie auch immer man zur friendship mit benefits steht: Es ist zwar ein anderes Modell der Beziehungsführung, aber wirklich unkomplizierter ist es in den meisten Fällen sicher nicht. Und langlebiger vielleicht auch nicht. Eine US-Studie soll belegt haben, dass F+ Beziehungen nicht langfristig funktionieren könnten. Ob eine Studie das wirklich belegen kann, angesichts der Fülle der auch kulturell bedingten Faktoren, der so eine Beziehung unterliegt, kann man in Frage stellen. Manch‘ eine Freundschaft plus soll ja auch mal in einer festen Liebesbeziehung geendet sein.

(Schönste Story dazu: Harry und Sally. Die Kinokomödie habe ich vor über dreißig Jahren gesehen, da war F+ noch gar nicht à la page. Vielleicht ist es doch nicht so eine neumodische Form, wie man glaubt?).

Ein letzter Gedanke, auch in Hinblick auf die oben erwähnte Studie: Denkbar wäre, dass jungen Menschen etwas einfacher gelänge, was ihre getrennten und wieder suchenden Mütter oder Väter nicht hinbekommen, weil die ältere Generation eher wieder in die konservativen, ursprünglich erlernten Beziehungsmuster zurückfällt, während jungen Menschen sich früh in der „modernen Beziehungsform“ der F+ trainieren und das zu ihrem Muster machen. Und Beziehungen sind ja so vielfältig wie die Menschen selbst und jede Zeit hat ihre bevorzugte Beziehungsform gehabt. Nur eins haben wohl alle Beziehungsformen, egal zu welcher Zeit, alle gemein: Einfach waren und sind sie nie, weil eben soziale Verbindungen zwischen Menschen immer komplex sind. Gott sei Dank. Wie langweilig wäre sonst das Leben?

Ein Artikel in der Women’s health online zitiert eine Studie folgendermaßen: Denjenigen, die ihre Beziehung in eine Freundschaft ohne Sex umwandeln wollten, gelang dies auch (59 Prozent). Die Paare, die eine feste Beziehung aufbauen wollten, schafften das in viel geringerer Zahl (15 Prozent). Bei der Mehrheit der Befragten (31 Prozent) war das Verhältnis aber komplett zerbrochen, inklusive der Freundschaft. In einer anderen Studie bewerteten nur 38 Prozent ihre Freundschaft plus als positive Erfahrung, 40 Prozent sagten, sie würden sich nie wieder darauf einlassen. („Sex unter Freunden: So endet ‚Friends with benefits‘ meist“, von Elina Wiesner, 04.04.2022 https://www.womenshealth.de/love/beziehungsprobleme/so-endet-freundschaft-plus-in-den-meisten-faellen/

Originalquelle der o.g. Studie: A longitudinal study of friends with benefits relationships, Laura V. Machia, Morgan L. Proulx, Michael Ioerger, Justin J. Lehmiller, First published: 20 February 2020 https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/pere.12307

Freundschaft plus als Zeichen für Bindungsängste?

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