Ein grundsätzlich fehlerhaftes System wird nicht über das Drehen an kleinen Stellschrauben weniger fehlerhaft.

(Ein Essay) Wieso wird in Deutschland aus so vielen Gesetzen, die aussehen wie eine Reform und eine Verbesserung, so oft ein de facto-Rückschritt?
In Deutschland ist nun ab 2022 endlich das Kükenschreddern verboten. Endlich! Die Tiere werden nicht mehr bei lebendigem Leib in einen Fleischwolf geworfen.
Und nun? Wie so oft hat keiner das Ganze zu Ende gedacht, als Letzter der Gesetzgeber. Jetzt sitzen die männlichen Hühner, die das Kükenalter dank Gesetz überlebt haben, drei Monate auf 0,056 m2, während ihre Schwestern wenigstens 0,075 zur Verfügung haben. Oft sind sie als Küken durch halb Europa gekarrt worden, um in Polen, den Niederlanden, Österreich oder Ungarn aufgezogen zu werden, weil es in Deutschland nicht genug Ställe gibt. Das vorm Schredder gerettet Küken wird zum Klimakiller. Außerdem bekommt es u.U. Soja aus Lateinamerika gefüttert. Wahlweise Tiermehl – ja, das Zeug, was im Zuge der BSE Krise 2001 verboten wurde, darf jetzt wieder eingesetzt werden, in der Schweinemast und der Geflügelzucht. Nein, wir lernen nicht. Aber das wissen wir ja spätestens seit der Coronakrise.
Zurück zum Hühnchen: Am Ende des kurzen Lebens wird es dann zu Frikasse oder Geflügelwürstchen, denn für was anderes ist das “minderwertige Fleisch” nicht zu gebrauchen, nicht als Brathähnchen, nicht als Filetstücke.
Zwischenfazit: was bringt es dem männlichen Küken, das es nicht mehr direkt nach dem Schlüpfen bei lebendigen Leibe geschreddert werden darf? Ein qualvolles Leben von 3 Monaten, auf engstem Raum, mit langen Transportwegen, schlechtem Futter und nur unwesentlich besseren Schlachtbedingungen als dem Fleischwolf.

Irgendwie geht das in der Logik in Richtung der Blühstreifen: erst deckt der Landwirt mit Hilfe von EU-Öko-Förderung den Insekten auf schönen Blühstreifen am Feldrand einen reichhaltigen Tisch, und wenn dann 30°C Grad herrschen und es ordentlich trocken ist, mäht er alles ab, sobald die gesetzliche Frist es ihm erlaubt – das ist spätestens in den Sommermonaten. Nichts überlebt, weder dort angesiedelte Arthropoden und ihre eventuell abgelegten Eigelege, noch eine Futterpflanze für die Tiere aus der Umgebung, seien es Insekten, Vögel oder Nager. Reptilien gibt es in unserem Grünland ja schon lange nicht mehr. Die wurden schon mit Einführung der Hand-Mähgerätes in den 20er Jahren nach und nach ausgerottet.

Und wenn man sich mal eingehender damit beschäftigen würde, fände man sicher noch eine Menge anderer solcher perverser Beispiele von Gesetzesreformen, die den erstrebten Zweck komplett ad absurdum führen. Das wirft die alte Frage von Max Weber nach dem Unterschied von Gesinnungs- und Verantwortungsethik auf, wenn gut gemeinte Gesetze es am Ende noch schlimmer machen, weil nicht zu Ende gedacht wurde. Welcher Ethik sollte ein Gesetz gerecht werden?

Vermutlich könnte man daraus ein Buch machen…

Übrigens, nebenbei bei meiner Recherche habe ich mit Erstaunen gelesen, dass Eier oft in Veggie-Produkten zum Einsatz kommen: Vegetarismus fördert bei Unachtsamkeit des  Konsumenten perverserweise also die Qual von Legehennen und indirekt ihrer Brüder. Und wenn das Ei im Veggie-Burger aus dem Ausland kam, dann wurden dafür auch Hähnchen geschreddert.
Ein Vegetarier, der es mit seinen Werten ernst meint, sieht also beim Kauf seiner Veggie-Produkte akribisch auf die Zutatenliste. Sonst wird auch jeder Verzicht auf Fleisch zum Wohle der Tiere ad absurdum geführt. Ei – in Veggieprodukten oft als Eipulver versteckt – sollte ein Vegetarier nur essen, wenn er weiß, wo es herkommt und unter welchen Bedingungen die Henne und seine Brüder gehalten wurden, sonst macht Vegetarismus aus moralischen Gründen wenig Sinn. Dann verhält er sich nicht besser als der deutsche Gesetzgeber mit seinen im Ergebnis absurden Gesetzen.

Vielleicht liegt es in der Natur der Sache: Wenn das ganze System krankt, macht man es mit kleinen Aktionen nicht unbedingt besser. Wenn wir eine Massentierhaltung haben, die nur ökonomischen Gesichtspunkten gehorcht, erreicht man mit dem Verbot von Kükenschreddern nichts. Wenn die konventionelle Landwirtschaft durch absurde GAP-Subventionen fern von ökologischen Notwendigkeiten agiert, dann retten auch keine  EU-finanzierten Blühstreifen.

Fazit: Ein marodes System wird nicht über kleine Stellschrauben weniger marode.

Inspiriert zum Thema und mich von da ausgehend weiter zum Recherchieren bewogen hat mich folgender Artikel:

rbb24: Mo 20.06.22 | 05:45 Uhr | Von Ute Barthel und Susett Kleine

Eier ohne Kükentöten: Ein wirklicher Fortschritt im Tierschutz?

-> Zur Nabu-Kritik der „hochkomplizierten, bürokratischen und ineffizienten Fördersystem der „Gemeinsamen Agrarpolitik der EU“ – kurz GAP“

(Foto: Pixabay)

 

 

Das Gegenteil von gut ist gut gemeint (Essay)

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